Peer Feedback im Klassenzimmer

Pädagogik
Reto
vor 9 Monaten

Gastblogger Reto Gubler: Erfahrungsbericht zum Experiment Peer Feedback unter Schüler:innen.

Während 5 Monaten arbeitete ich mit 40 Schüler:innen aus der 9. Klasse in Wimmis an der Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Mit der App von Menon konnten wir Ergebnisse sichtbar machen und Diskussionen anregen. Durch die enge Zusammenarbeit und den Erfahrungsschatz von Menon erarbeiteten wir eine Einheit, die den Schüler:innen ein tiefgründiges, sensibles und wichtiges Lebensthema sicher, leicht und gewinnbringend näher brachte.

Ausgangslage

Ich unterrichte an der Schule Wimmis und betreue unter anderem die Schüler:innen der 9. Klasse (14-16 Jährige). In diesem Rahmen begleite ich sie bei ihrem selbstständigen Schülerprojekt sowie im Fach "SLBR DNKN" (Selber Denken). Dabei handelt es sich um ein von mir entwickeltes Fach, das im Stundenplan unter ERG läuft und alle erforderlichen Kompetenzen abdeckt.

Als ich im August 2022 mit meinen 9. Klässler:innen startete, war ihre Motivation zunächst gering. Dieses Phänomen ist mir vertraut. Es ist normal, dass sie anfangs nicht besonders begeistert sind, selbst wenn es um Themen geht, die sie ein Leben lang begleiten werden, wie beispielsweise Selbstvertrauen, Konflikte, Glauben und den eigenen Weg finden und gehen.

Beginn der Zusammenarbeit

In der ersten Schulwoche traf ich zufällig auf Philipp Keller, der mir von seiner Firma Menon erzählte. Dies weckte mein Interesse. Kurz zuvor hatte ich bereits auf dem 1. Bildungskongress in Thun von der Arbeit von Menon gehört. Eine Woche später nahm ich Kontakt mit Nicole Gugger auf, die mir genauer erklärte, worum es bei Menon geht. Begeistert von diesem Angebot ging ich zum Schulleiter und informierte ihn darüber, dass es eine Möglichkeit gibt, die Persönlichkeit der Schüler:innen sichtbar zu machen. Nachdem er grünes Licht gegeben hatte, fragte ich die Schüler:innen, ob sie daran interessiert wären, mithilfe einer App und Peer-Feedback mehr über ihr Erscheinen und ihre Wirkung zu erfahren.

Mit 80% Zustimmung signalisierten die Schüler:innen ihr Interesse, Offenheit und Mut an diesem Experiment teilzunehmen. Natürlich gab es auch kritische Stimmen hinsichtlich der Ehrlichkeit und der Angst von Verletzlichkeit und Mobbing. Ich konnte dem nicht widersprechen, da diese Möglichkeit bestand. Es freute mich jedoch, dass das Projekt hinterfragt wurde, da dies ein Zeichen von Selbständigkeit ist. Abschliessend fragte ich insbesondere die skeptischen Schüler:innen, ob sie dennoch bereit wären daran teilzunehmen, da der Ausschluss einiger Schüler:innen nicht möglich war. Am Ende stimmten alle mehr oder weniger überzeugt zu.

Die Expedition

Nachdem die finanziellen Details geklärt wurden, kam ich mir vor, als würde ich mit meinen 2 Klassen vor einem Segeltörn stehen, bei dem vieles unbekannt war. Wir kannten zwar die Richtung, aber den Weg, die Gefahren, das Meer und das genaue Ziel kannten wir nicht. Ich hatte auch meine Zweifel, ob das alles gut kommt und ob ich das alles fachgerecht begleiten konnte. Ich war sehr froh, dass mich Nicole Gugger von Menon begleitete und mit einem regelmässigen Austausch die nächsten Schritte bzw. Seemeilen klärte. Nicole wusste, wo welche Häfen, Untiefen und Leuchttürme waren, um sicher voranzukommen. So entwickelte sich ein spannendes und wertschöpfendes Projekt.

Konkret hatten wir folgende Schritte geplant:

  • Kompetenzen erarbeiten

  • Indikatoren definieren

  • Umgang mit Feedback

  • Einführung in die App

  • Arbeit mit der App

  • Persönliche Entwicklung

Wie diese Schritte im Detail abgelaufen sind und was der Gewinn daraus war, werde ich hier gerne erläutern:

Kompetenzen erarbeiten

Als erstes erarbeitete ich mit den Schüler:innen die grundlegenden Kompetenzen. Ich fragte sie zu welchen Kompetenzen sie gerne ein Feedback der Mitschüler:innen hätten oder wo sie sich gerne weiterentwickeln würden. In einem begleiteten Prozess einigten wir uns von über 20 erarbeiteten Vorschlägen auf 3 - 4 Kompetenzen pro Klasse.

Eine Klasse entschied sich für "Disziplin, Autenzität und Selbstvertrauen", die andere für "Klassenzusammenhalt, Selbstvertrauen, Wirkung nach Aussen & Offenheit und Ehrlichkeit".

Indikatoren definieren

Die wirkliche Arbeit begann erst jetzt. Wir mussten definieren, was es bedeutet, z.B. authentisch zu sein. Wir suchten zu jeder Kompetenz etwa 8 Indikatoren, an denen wir sehen konnten, ob jemand authentisch ist oder nicht. Dieser Prozess war ein sehr wertvoller Arbeitsschritt, denn die Antwort bzw. die Indikatoren herauszufinden, klärte vieles und brachte die Erkenntnis, auf was man konkret achten konnte. Wir durften auf Indikatoren von Menon zurückgreifen und das Model mit eigenen ergänzen. Die entwickelten Kompetenzmodelle stellte Menon in der App zur Verfügung.

Abbildung: Kompetenzmodell aus Klasse A


Umgang mit Feedback

Bevor wir starteten, mussten wir uns mit dem Thema Feedback Kultur auseinandersetzen. Denn genau hier lagen für mich die grössten Stolpersteine. Die Schüler:innen mussten auf das Thema Feedback sensibilisiert werden. Wie gibt man Feedback? Was bedeutet es, wenn man Feedback erhält? Was macht man mit einem Feedback? Gibt es Regeln dazu? Wenn ja, welche sind es? Menon begleitete mich auf diesem Weg und wir gestalteten einen kurzen und nützlichen Workshop für die Schüler:innen. 2 wichtige Regeln, die wir den Schüler:innen weitergeben wollten waren folgende:



Die Schüler:innen erkannten, dass ein Feedback sie zu nichts zwingt und eine Einladung für eine Entwicklung ist. Ein Feedback ist auch kein Urteil im Sinne von “So ist es”, sondern es ist eine Wahrnehmung der Menschen um mich herum, die immer auch etwas mit der Feedbackgeber:in zu tun hat.

Einführung in das Tool

Nach diesen 2 herausfordernden Schritten kam ein einfacherer. Ich durfte den Schüler:innen das Menon Tool vorstellen. Die App war für die Grösse des Unternehmens erstaunlich einfach zu bedienen. Sie war vielleicht nicht ganz so intuitiv wie eine App, die Millionen von Nutzer:innen hat, aber sie hat das gemacht was sie soll und dies in einer Form die benutzerfreundlich war. Die Schüler:innen hatten auch keine Probleme die ersten Anweisungen auszuführen. In der ersten Lektion ging es lediglich um das Kennenlernen der Funktionen. Wir gaben einander Feedback, ohne dass das Resultat von Bedeutung gewesen wäre.

Einige der Schüler:innen hatten jeweils Probleme beim Einloggen. Da konnte ich auf eine schnelle Mithilfe von Menon zählen. Wenn die Erste-Hilfe-Massnahmen nicht ihre Wirkung zeigten, nahm Menon direkt mit der Schülerin oder dem Schüler Kontakt auf und ermöglichte ihnen den Zugang.

Arbeiten mit der App

Nach dieser Vorbereitungszeit, die ungefähr 3 Monate in Anspruch nahm, war es dann soweit. Wir erstellten die ersten Loops (Umfragen) und werteten diese aus. Für die Schüler:innen war das ein grosser und wichtiger Moment. Sie waren sehr aufmerksam dabei. Es erstaunte mich nicht, denn in diesem Alter ist es wichtig zu erfahren, wer man selber ist und wie man dabei wirkt.

Ich achtete darauf, dass sie die Resultate in einem ersten Schritt nur für sich selber anschauten. Danach trafen sie sich in sogenannten Entwicklungsteams. Das waren vorher festgelegte Teams in welchen sich alle Teammitglieder wohl fühlten. In diesen Teams ging es darum, die Rückmeldungen auszutauschen. Man konnte preisgeben was man wollte man konnte Fragen stellen und natürlich wurde auch verglichen. Ich war in dieser Phase im Hintergrund und dort bereit für Szenarien, die den Schüler:innen hätten unangenehm sein können. Zum Schluss nahm ich die ganze Klasse zusammen und sammelte ihre Eindrücke. Ich wollte dabei spüren, ob alles gut abgelaufen war und natürlich wollte ich auch wissen, was es bei ihnen auslöste.

Die Schüler:innen haben vor allem Bestätigung erfahren. Sie haben in vielen Punkten erlebt, dass ihre Selbsteinschätzung in etwa so ist, wie sie von den anderen eingeschätzt wurden. In vielen Punkten haben sie sich selber eher etwas unterschätzt. Durch die Arbeit in den Entwicklungsteams konnten sie auch ihr Potential zur Entwicklung genauer erfahren und teilweise entstanden schon dort konkrete Entwicklungsideen.

Bis alle Indikatoren angeschaut, diskutiert und reflektiert waren, verging viel Zeit. Dass während der ganzen Zeit Unterrichtsstörungen vollständig ausblieben, ist auch ein Zeichen, dass sie das Thema faszinierte und sie die Wichtigkeit erkannten.

Das Interessante war, dass die beiden Klassen unterschiedlich mit der Analyse der Indikatoren umging. Die Klasse A wollte nur mit der App arbeiten und steckte mehr Energie in die Bearbeitung und Besprechung aller Indikatoren. Die Klasse B dagegen, wollte lieber weniger Indikatoren durchnehmen, diese dafür umso gründlicher. Das führte dazu, dass die Klasse mit meiner Hilfe Experimente entwickelte und diese nachher auch durchführte. Ein Beispiel: Wir liefen während 3 Minuten in einem grossen Saal durcheinander und bewerteten im Anschluss das selbstbewusste Auftreten.

Persönliche Entwicklung

Als wir alle Indikatoren überprüft hatten, ging es an die Auswertung und Planung der Entwicklung. Auch hier haben wir durch Menon Unterstützung erfahren. Gemeinsam haben wir eine Auswertungsphase konzipiert.

Die Schüler:innen suchten jeweils 1-3 Indikatoren heraus, an dem sie arbeiten wollten. Dies konnte einer sein, der sie überraschte oder einfach war oder sonst etwas interessantes an sich hatte. Als nächster Schritt überlegten sie sich, in welchen Situationen dieser Indikator zum Tragen kam. Danach erarbeiten sie in den Entwicklungsteams mögliche Veränderungen. Wie kann ich in den vorher bestimmten Situationen anders handeln? Woran erkenne ich eine Verbesserung? Das waren Fragen, die hier beantwortet wurden. Zum Schluss überlegten sie sich eine Erinnerungshilfe. Dies konnte ein Post-it, ein neues Armband oder ein Aufkleber auf dem Handy sein. Die Erinnerungshilfe ist da, um die Schüler:in immer wieder zu erinnern, dass sie an diesem Indikator arbeiten will.

Als wir dies festgelegt und notiert hatten, schlossen wir die Arbeit an den Indikatoren ab. Von nun an war es den Schüler:innen selbst überlassen, daran zu arbeiten oder nicht.

Der Abschluss

Mein Fazit; Es lohnt sich, wenn man sich zusammen auf einen Weg macht, auch wenn er unsicher ist. Es war eine Expedition, die niemand vorher kannte. Und das macht ein Unterschied. Meine Erwartungen waren tiefer, dafür die Aufmerksamkeit auf den Moment viel grösser. Ich wollte, dass alle mit einem positiven Erlebnis aus dieser Expedition zurückkommen.

Ich würde es sofort wieder tun, wenn die Klasse diese Herausforderung annimmt. Die Schüler:innen erkannten selbst, wie viel sie aus diesem Experiment für ihre persönliche Entwicklung mitnehmen konnten.

Reto Gubler, Lehrperson aus Wimmis

Zufriedenheitsbefragung
Wenn man diese Umfrage betrachtet, darf ich das sicher als gelungen betrachten.

Umfrage zur Entwicklung der Kompetenzen

Eine weitere Messung, die ich vorgenommen habe, ist die Untersuchung der ausgewählten Kompetenzen. Wie haben sich die Kompetenzen während der Arbeit mit der Menon App verändert? Die Resultate sind hier ablesbar.

Resultat Klasse A
Resultat Klasse B

Etwa 8 Wochen nach dem Abschluss erkundigte ich mich, ob sich die Schüler:innen in ihren ausgewählten Indikatoren verbessert hätten. Über beide Klasse gesehen, haben sich 20 von 40 Schüler:innen merklich verbessert. Interessant war, dass beinahe jede:r der/die sich die Erinnerungshilfe organisiert hatte, auch Fortschritte in seinem/ihren Indikator gemacht hatte.

Interessiert an einem Experiment?

Hat dieses Experiment dein Interesse geweckt und du möchtest mehr darüber erfahren? Reto und Menon begleiten dich gerne dabei, dieses Experiment an deiner Schule umzusetzen oder neue Ideen entstehen zu lassen.

👉 Melde dich, wir freuen uns auf dich.